Tag der Frau
Juhu, ich darf als Mann einen Text zum «Internationalen Frauentag» am 8. März 2019 schreiben! Ein echtes Privileg, denn es bieten sich derzeit unerschöpfliche Themenfelder an. Im Kino läuft nach «Colette» (Keira Knightley als begabte Romanautorin im Schatten ihres Mannes) und «The Wife» (die Oscar-nominierte Glenn Close in ähnlicher Rolle) gerade «On the Basis of Sex» (Felicity Jones als Richterin Ruth Bader Ginsburg). Der Film illustriert den erbitterten Kampf der Frau um Gender-Gerechtigkeit. Das Thema liesse sich ausgezeichnet verarbeiten. Oder doch eher etwas zu #MeToo beziehungsweise «Toxischer Männlichkeit» und nicht überwundener Dominanz des Patriarchats schreiben? So wie kürzlich im «Club» des Schweizer Fernsehens leidenschaftlich diskutiert? Es ginge natürlich auch sanfter: ein nettes Essay, zum Beispiel über veganes Clean-Eating oder weibliches Engagement für Klimaschutz (Greta Thunberg) …
Nach einigen Minuten des Nachdenkens habe ich mich entschieden: nichts von alledem! Ich lasse die Trendthemen für einmal beiseite und widme mich einer persönlichen Beobachtung, die ich in letzter Zeit immer häufiger gemacht habe, und die mich nachdenklich stimmt. Vielleicht hat diese Beobachtung sogar einiges mit den oben erwähnten Themen zu tun. Jedenfalls scheint sie mir dramatisch zu sein. Ich schreibe meine Gedanken in Form einer einfachen, kleinen Reflexion. Ohne Anspruch auf ganzheitliche Sicht. Quasi als verbaler Blumengruss zum Feiertag.
Fehlen Frauen Zeit und Musse?
Mir ist aufgefallen, dass viele Frauen aufgehört haben, zu designen. Sie finden derzeit kaum Zeit, ihre gestalterische Kraft ungebremst und schon gar nicht für sich selbst zur Geltung zu bringen. Frauen sind damit beschäftigt, die Brandherde dieser Welt zu löschen, und widmen sich unermüdlich den kleinen und grossen Dramen ihres Umfelds. Sie lösen (wie Theresa May oder Angela Merkel) politische Probleme, die ihnen andere eingebrockt haben, führen Unternehmen aus Defiziten, ohne dabei selbst im Rampenlicht zu stehen, vermitteln in Konflikten und begleiten Freunde und Verwandte, die sich in Schwierigkeiten gebracht haben. Sie engagieren sich mit grenzenloser Energie für Frieden, Ökologie und Gerechtigkeit. Der unbeschwerte Genuss von Natur, Musik, Kunst und Kultur, Architektur, Reisen oder Gastronomie kommt dabei meist zu kurz.
Design ist das pure Leben
Und damit wir uns richtig verstehen: Unter designen verstehe ich gerade nicht den Rückzug aus dem gesellschaftlichen, unternehmerischen oder politischen Leben in die eigenen vier Wände oder den kleinen Kreativkurs im Quartier. Im Gegenteil: Designen bedeutet für mich, sein Leben autonom, intuitiv und zielbewusst zu gestalten. Sich Zeit und Freiheit zu erlauben. Seinen Träumen auf die Spur zu kommen und diese ernst zu nehmen. Die eigene Karriere selbstbestimmt und ohne Grenzen zu planen. Zwänge abzuschütteln. Sich zu verwirklichen. Zu tun, was Spass macht. Sich und seine Ideen durchzusetzen. Sich Gutes und Schönes zu gönnen.
Weiblich ist immer kreativ
Design ist das Leben selbst. Wer designt, atmet und blüht auf. Und um die Fantasien in Schwung zu bringen, hier ein unvollständiger kleiner Katalog an Design-Qualitäten, die ich an euch, liebe Frauen, so sehr bewundere (womit ich keinesfalls impliziere, dass Männer nicht darüber verfügen):
Eure Interieurs sind bestechend harmonisch.
Ihr plant Berufskarrieren beeindruckend zielgerichtet.
Wenn ihr Gäste bewirtet, kreiert ihr Überraschendes und Neues.
Euer Styling unterstreicht eure Identität glaubwürdig.
Ihr gestaltet Freundschaften so, dass sich alle gut fühlen.
Euer Feeling für Klasse und Ausstrahlung ist einzigartig und treffsicher.
Mit eurer kreativen Kraft bringt ihr mehrere Dinge gleichzeitig unter einen Hut.
Aber Hand aufs Herz: Wann habt ihr zum letzten Mal nur für euch selbst geschaut? Euch ohne Blick auf die Uhr euren Fantasien hingegeben und in Gedanken oder Tat Neues kreiert? Habt ihr in den letzten Tagen ein Konzert oder ein Interieur-Geschäft besucht, euch ein Accessoire oder einen farbigen Blumenstrauss gekauft?
Fazit: Liebe Frauen, reduziert euer wundervolles Engagement für Mitmenschen und eine bessere Welt ein ganz kleines bisschen und nehmt euch Raum für Design. Gestaltet selbst und umgebt euch genussvoll mit Design. Mindestens heute – am Tag der Frau. Und morgen und übermorgen ruhig auch.
André Kesper /andrekesper.blog / andrekesper.ch